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KONZEPT

Ariel
(Gesang, von Äolsharfen begleitet):

Wenn der Blüten Frühlingsregen
Über alle schwebend sinkt,
Wenn der Felder grüner Segen
Allen Erdgebornen blinkt,
Kleiner Elfen Geistergröße
Eilet, wo sie helfen kann;
Ob er heilig, ob er böse,
Jammert sie der Unglücksmann.

(Faust, J. W. von Goethe)

Anne Katrin Stork über „Das Geheimnis der sichtbaren Gesten“ (3.2010)

Astrid Mulch über ihre Arbeit: 
Bei meinen Arbeiten geht es mir darum, Emotionen und emotionale Konflikte zu untersuchen, auszuloten und darzustellen.

Dabei geht es mir nicht um die bloße Abbildung eines inneren Zustandes oder Konfliktes, sondern immer auch um die Akzeptanz und Überwindung der negativen Anteile.
Die beängstigenden, verzweifelten, von Trauer, Einsamkeit und Schmerz erfüllten Seiten des menschlichen Daseins werden nicht ausgeklammert, sie werden integriert und akzeptiert, oft nur als subtile Brechung der ansonsten eher harmonischen Formen dargestellt.

Nie geht es dabei um eine expressive Momentaufnahme von emotionalem Leid.
Die Figuren strahlen eine große innere Stärke aus, die sie befähigt, innere Konflikte und negative Gefühle zu akzeptieren, zu tragen und zu überwinden.

In diesem Zusammenhang hat eine grundlegende formale Neuerung stattgefunden.
Die Figuren sind nicht mehr einzeln und für sich; sie werden nun zu Gruppen zusammengefügt oder haben zwei Gesichter (Janus).

Dadurch ergibt sich formal ein größerer Gestaltungsspielraum. Inhaltlich können nun innere Erlebnisse und Konflikte auf mehrere Figuren verteilt und somit deutlicher in Bezug/ Kontrast zueinander gesetzt werden. Auch hier stehen wieder das Element der Integration der negativen Erlebnisse und deren Überwindung im Vordergrund.

Die Wahrnehmung von inneren Konflikten ist immer sehr subjektiv geprägt, das liegt in der Natur der Sache und ist somit unvermeidbar. Dennoch ist es mir bei meiner Arbeit sehr wichtig, grundsätzliche, allgemein verständliche und nachvollziehbare innere Vorgänge darzustellen, und somit eine intensive Beziehung zwischen Skulptur und Betrachter zu ermöglichen.

Die Bedeutung der Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter ist auch ein Grund für meine Vorliebe für Mythen, Legenden und Symbolik aus dem unerschöpflichen Reichtum der abendländischen Kultur. Auch wenn ein Großteil der Bevölkerung heutzutage nicht mehr über eine „klassische Bildung“ verfügt, so existiert doch ein umfangreiches allgemeines, wenn auch diffuses Bewusstsein der eigenen Kultur. Jeder weiß, was ein Einhorn ist, oder hat schon mal von „Anna Selbdritt“ gehört. So werden Zitate und Andeutungen aus der Kulturgeschichte zum Ausgangspunkt für Identifikation, Erinnerungen und eigenen Assoziationen beim Betrachter.

Zitate und Symbole aus der europäischen Kulturgeschichte stehen aber auch beispielhaft für die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen inneren Prozessen, Konflikten und Entwicklungen, um die es in den meisten überlieferten Werken ja letztendlich geht; angefangen bei den griechischen Göttersagen bis hin zu den mittelalterlichen Darstellungen von biblischen Geschichten und deren (inneren) dramatischen Ereignissen.

Ein weiteres zentrales Anliegen meiner Arbeit ist es, non-verbale, abstrakte Bereiche sichtbar zu machen, ihnen einen bildhaften Ausdruck zu verleihen, sie in Form und Gestalt umzusetzen, die wiederum zu Erkenntnis und zur eigenen Reflexion anregt.
Musik als ureigene Methode, nicht- begrifflichen, geistigen Bereichen Ausdruck zu verleihen und sie in eine universell verständliche Sprache zu übertragen, spielt dabei eine große Rolle.

Das Hören von Musik während des Arbeitsprozesses, sowie die eigene ausführende Auseinandersetzung mit Musik setzt viele Gestaltungsprozesse überhaupt erst in Gang, oder aber wirkt quasi wie ein Katalysator. Einen seelisch- geistigen Prozess unter Zuhilfenahme eines Klumpen Tons oder eines Gipssackes bildhaft darzustellen, in Materie umzuwandeln, das erscheint mir immer wieder aufs Neue aufregend und faszinierend.

Dabei verwende ich oft die Gestaltungsmöglichkeit der „Andeutung“.
In der Philosophie der Renaissance wurde die antike Vorstellung wieder aufgegriffen, dass man alles, was mit Gott und seiner Schöpfung, also dem „Mysterium“ zusammenhängt, nicht direkt erklären oder darstellen, sondern nur mit Hilfe von verschlüsselten Symbolen andeuten könne. So sind auch viele komplexe emotionale Erfahrungen und Prozesse nur durch die Andeutung derselben umsetzbar in eine Form; in Gestik, Mimik und andere formale Gestaltungsmittel.

Die „Andeutung“ von einem komplexeren Ganzen regt überdies die Phantasie des Betrachters an und bietet ihm die Möglichkeit zu eigenen Erkenntnisprozessen.

Letztlich spielt auch mein ganz persönliches, subjektives, gelebtes Frauenbild eine Rolle bei meinen Arbeiten. Die Welt wie sie ist kann ich nur aus meiner eigenen, individuellen Sicht erkennen und erleben, und die ist nun mal weiblich. Die Bildhauerei als Möglichkeit, das Leben besser zu verstehen, sich selbst besser zu verstehen, setzt ein stark subjektives Erleben voraus, das sicherlich auch immer vom jeweiligen Geschlecht geprägt ist.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt in meinen Arbeiten ist eine ursprüngliche und tief verwurzelte menschliche Sehnsucht nach Vollkommenheit, Ganzheit und Schönheit, und das Leiden an der Unerreichbarkeit dieser Sehnsucht, am beständigen Scheitern.

Sokrates beschreibt diesen Konflikt in seiner „Preisrede auf Eros“: Die Seele, die das Ewige, Wahre, Vollkommene und Schöne geschaut hat, stürzt auf die Erde hinab in einen menschlichen Körper. Von nun an leidet sie während ihres irdischen Daseins unter einer unstillbaren Sehnsucht nach dem Ewigen und Vollkommenen einerseits und der Erkenntnis ihrer irdischen Begrenztheit und damit der Unmöglichkeit eben jene zu erreichen andererseits.

Manche Seelen wurden durch den Sturz allerdings so stark beschädigt, dass sie nicht einmal mehr eine Sehnsucht verspüren. Diese Sehnsucht aber bezeichnet Sokrates als den „Eros“, die größte und mächtigste aller menschlichen Leidenschaften.

Die Suche nach Ganzheit und ihrem bildhaften Ausdruck, der Schönheit, mit all ihren Begrenzungen und Brechungen, und letztlich ihrer Unerreichbarkeit, werden so immer wieder zum Ausgangspunkt formaler und gestalterischer Auseinandersetzungen.